Portrait Endorphina Backkunst

Endorphina in Berlin-Neukölln ist nicht auf Anhieb zu finden. Wer dem Aufsteller auf der Straße aber folgt, der entdeckt im zweiten Hinterhof die kleine Bäckerei. Besonderes Highlight: die gläserne Backstube und das Team. Denn dieses besteht aus 25 Personen und ganzen elf unterschiedlichen Nationalitäten. Aktuell beschäftigt Geschäftsführerin Katharina Rottmann auch zwei Geflüchtete. Mit einer solchen Vielfalt kann man nur gewinnen, findet sie.

Mit Vielfalt können wir nur gewinnen.

Katharina Rottmann kam über einen eher ungewöhnlichen Weg zum Bäckerhandwerk. Ursprünglich hat die Berlinerin Pharmazie studiert.

Ihre Idee war es, eine individuelle Apotheke zu eröffnen, in der die Kunden wirklich beraten und nicht nur mit Pillen abgefertigt werden. Das Studium war aber nichts für Katharina Rottmann und sie entschied sich, statt des vorgegebenen Pfads einen Seitenweg zu nehmen. Sie wurde Heilpraktikerin.

Zwölf Jahre übte sie diesen Beruf aus. Doch irgendwann erkannte sie, dass es nicht reicht, Krankheiten zu bekämpfen. Wenn man sie wirklich verhindern will, gibt es einen anderen Weg. „Ich wollte immer was Gesundes machen, habe aber zwölf Jahre nur mit Krankheiten gearbeitet. Für mich war klar, ich muss mal einen Schnitt machen. Ich muss an die Wurzel des Übels, und das ist die Ernährung.“

Also stand 2002 ein weiterer Spurwechsel an. Wie das Leben so spielt, überlegten sich zur gleichen Zeit Freunde von Katharina Rottmann, die Selbstständigkeit zu wagen. Die Bio-Welle stand noch am Anfang, damals wurde bio noch mit Vollkorn gleichgesetzt. Die beiden Vollkornbäcker wollten sich dem entgegenstellen und eine Bio-Bäckerei eröffnen, in der es auch ein ordentliches französisches Croissant gibt – bio halt, aber eben nicht zwangsläufig Vollkorn.

Die Idee stieß auf viel Begeisterung, zog immer weitere Kreise und Katharina Rottmann kam in Kontakt mit der Welt des Backens. Während die Freunde in der Backstube standen, war sie für den Verkauf und alles Organisatorische verantwortlich. Das traf sich aber gut, denn: „Letztendlich mache ich nichts anderes, als über gute Ernährung zu sprechen.“

Seit sechs Jahren führt Katharina Rottmann nun ihren eigenen Betrieb – die endorphina BACKKUNST. Mitten in Berlin-Neukölln verkauft sie vegane und glutenfreie Produkte. In einem anderen Kiez, wie dem Prenzlauer Berg, wäre der Andrang sicher noch größer. Aber aus Neukölln will Katharina Rottmann nicht weg, denn hier fühlt sie sich wohl. Auch beim Backen steht für sie der Mensch im Vordergrund und diesem Vorsatz folgt sie auf allen Ebenen. Ihre Lieferanten kennt sie persönlich. Sie verkauft nicht nur bio, sie bezieht auch regional. Ihr Müller sitzt im Spreewald, keine 80 Kilometer von Berlin entfernt, und beliefert die Bäckerei einmal in der Woche mit frischem Mehl. Wenn es ihr möglich ist, trifft sie ihre Zulieferer persönlich und besucht deren Betriebe.

"Ich wollte immer etwas Gesundes machen…"

„Soweit ich mitgestalten kann, wie Gesellschaft aussieht, so weit will ich das mit meinem kleinen Betrieb auch tun. Deswegen bilde ich selber aus.“

Das Team bei Endorphina besteht aus etwa 25 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und zeigt ein Abbild der Gesellschaft, wie Katharina Rottmann selber sagt.

Im Team finden sich elf unterschiedliche Nationen. Auch die Altersspanne ist ungewöhnlich: Der jüngste Mitarbeiter ist gerade einmal 16 Jahre alt, der älteste stolze 70. „Vielfalt gibt es hier nicht nur im Sortiment“, lacht die Geschäftsführerin. Von den 25 Angestellten arbeitet die eine Hälfte in der Produktion und die andere im Verkauf, sowohl in der Filiale selbst als auch am Stand der Bäckerei in der Markthalle Neun in Kreuzberg.

Katharina Rottmanns Betrieb ist nicht sehr groß, dennoch wird in ihrer Backstube ausgebildet. „Ich stelle immer wieder fest, dass es diverse Bäckereien gibt, die gar nicht ausbilden.“ Ein Unding in ihren Augen. Denn nicht nur als Privatperson, auch als Unternehmen hat man eine Verantwortung der Gesellschaft gegenüber. Durch die Arbeitsplätze und vor allem die gute und schon mehrfach ausgezeichnete Ausbildung will Katharina Rottmann ihren Teil beitragen und etwas zurückgeben. Aus ihrer Sicht liegt das Geheimnis einer guten Ausbildung vor allem in der zwischenmenschlichen Komponente. Das Miteinander im Team sei wichtig und die Fähigkeit, Kritik konstruktiv zu üben und auf der anderen Seite positiv entgegenzunehmen. Und das wirkt: Viele ihrer Lehrlinge schließen ihre Ausbildung als Landessieger ab.

Trotz allgegenwärtigem Fachkräftemangel kann sich Katharina Rottmann nicht über unbesetzte Ausbildungsplätze beschweren. Die Mentalität der offenen Tür und der gläsernen Backstube funktioniert auch in dieser Hinsicht offensichtlich sehr gut und trägt den Ruf der Bäckerei weit über den Hinterhof hinaus. Denn wer sich eingeladen fühlt, ist umso motivierter, sich um einen Ausbildungsplatz zu bemühen.

Auch die beiden Geflüchteten Amir und Amanullah haben über Erzählungen von Endorphina erfahren. Sie machen beide die Ausbildung zum Bäcker in Katharina Rottmanns Betrieb und sind glücklich, hier gelandet zu sein.„Ich habe davor ein Praktikum bei einem Tischler gemacht, aber das hat mir nicht gefallen“, sagt Amir. „Deswegen wollte ich weitersuchen.“ Über seine Betreuerin bei Arrivo, einer Organisation, die geflüchteten Menschen Praktika in verschiedenen Berliner Betrieben verschafft, hat Amir dann von Endorphina erfahren. Beim ersten Kennenlernen hat ihn seine Betreuerin zu Endorphina begleitet. Im Gespräch mit Katharina Rottmann wurde ein zweiwöchiges Praktikum vereinbart.

Wir bilden aus!

Ein bisschen Nachhilfe

"Handwerklich bekommen wir hier alles hin, beim theoretischen Teil muss man oft zusätzlich Hilfestellung leisten."

Amanullah hat über seine Lehrerin in der Schule von der Bäckerei in Neukölln erfahren. Er ist einfach vorbei gegangen, um sich vorzustellen. Das hat Katharina Rottmann imponiert. Die Tatsache, dass Amanullah in Afghanistan schon als Bäcker gearbeitet hat, war natürlich nicht uninteressant.

Beide Männer sind mit einem Praktikum gestartet. Das ist Pflicht bei Endorphina – mindestens eine Woche packt man als Praktikant in der Backstube mit an. Im Anschluss haben beide ein knappes halbes Jahr die Einstiegsqualifizierung (sog. EQ) gemacht. Das ist eine Maßnahme der Bundesagentur für Arbeit und soll auf die Ausbildung vorbereiten. Während der EQ arbeiten die angehenden Azubis nicht nur im Betrieb mit, sie besuchen auch schon die Berufsschule. Da der Unterrichtsstoff den Geflüchteten oft schwerer fällt als die praktische Arbeit, sei es sinnvoll, darauf zu achten, ob weitere Unterstützung und Nachhilfe notwendig sind.

Beim Thema Nachhilfe arbeitet Katharina Rottmann mit einer Organisation zusammen, die Ehrenamtliche an Betriebe vermittelt. Gerade lernt Amir gemeinsam mit einer Rentnerin, um den Unterrichtsstoff besser verstehen und die Berufsschule meistern zu können. Mit der Berufsschule steht Katharina Rottmann in regelmäßigem Austausch und erkundigt sich über den aktuellen Stand und das aktuelle Befinden ihrer Azubis. Ein zusätzlicher Mehraufwand für die Geschäftsführerin, der aber wichtig ist.

Gerade während der Ausbildung fühlen sich viele Betriebe alleingelassen. Eine zentrale Stelle, bei der alle Informationen und Förderungen zusammenlaufen und von der die Betriebe und Azubis die ganze Zeit über, also vor, während und nach der Ausbildung, betreut werden, wäre praktisch und wünschenswert, findet Katharina Rottmann. Aktuell ist sie in engem Kontakt mit dem Bildungswerk Kreuzberg, um sich über finanzielle Unterstützung und Fördermöglichkeiten während der weiteren Ausbildung zu informieren. Dieses Beispiel zeigt: Es sind Möglichkeiten vorhanden. Manchmal fehlt nur der Kontakt, damit diese auch genutzt werden können.

Beim Bewerbungsverfahren ist für Katharina Rottmann der persönliche Eindruck entscheidend und meistens wichtiger als das, was auf dem Papier steht. „Oft stehen Leute hier in der Tür und suchen einen Ausbildungsplatz. Dann schüttele ich ihnen die Hand. Schon beim Händeschütteln weiß ich je nach Händedruck: Der will was oder der will nichts.“

Im Bewerbungsgespräch fragt Katharina Rottmann viel über die Person und warum der- oder diejenige gerade in ihrem Betrieb ausgebildet werden möchte. Häufig bekommt sie die Antwort, dass man von der guten Ausbildung bei Endorphina gehört hat. Einen Tipp gibt sie angehenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern auch mit auf den Weg: „Sei, wie du bist. Denn so willst du hier auch die nächsten Jahre sein.“

"Niemand verlässt seine Heimat gerne."

Neben der beruflichen Ausbildung ist es der Geschäftsführerin ein Anliegen, dass sich ihre Mitarbeiter/innen wohlfühlen. Gerade im Fall ihrer Mitarbeiter mit Flüchtlingsvergangenheit.

 „Man darf nicht vergessen: Die Leute kommen hier an und sind traumatisiert. Dann werden sie hier auf den Markt geworfen, oft mit der Ungewissheit über ihre Zukunft.“ Im Betrieb wird ihnen ein Stück Heimat geboten. Durch eine Chefin, an die sie sich mit allen Anliegen und Sorgen wenden können. Durch Kolleginnen und Kollegen, mit denen sie sich gut verstehen und von denen viele ebenfalls von weit her kommen. Bei Betriebsfesten hängt Katharina Rottmann gerne eine Weltkarte auf und jeder kann sein Heimatland markieren. So erkennen die anderen, dass die Heimat der Kollegin oder des Kollegen auch weit entfernt ist, und finden direkt ein Gesprächsthema. „Ihnen auch ein Stück Heimat wiederzugeben mit so einem Betrieb, ich glaube, das macht ganz viel aus. Ich meine, es sind Afghanen, die hier deutsches Sauerteigbrot backen.“

Heimat – das ist ein wichtiger Aspekt. Denn die größte Herausforderung ist, sozialen, freundschaftlichen oder familiären Anschluss in der neuen und fremden Umgebung zu finden. Katharina Rottmann ist überzeugt: „Das finden sie hier.“

Und los geht's ...

Tipps für Geflüchtete

Mach ein Praktikum! So erfährst du ganz schnell, ob dir die Arbeit im Bäckerhandwerk Spaß macht. Du kannst direkt bei einem Betrieb anfragen, oder schau auf dem Stellenfinder des Bäckerhandwerks nach freien Plätzen:
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Informiere dich über die Berufe, die einzelnen Tätigkeiten und darüber, was man nach der Ausbildung noch alles im Bäckerhandwerk erreichen kann:
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Was du bei deiner Suche nach einem Ausbildungsplatz beachten solltest und wie du dich am besten bewirbst, erfährst du hier:
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Tipps für Betriebe

Bieten Sie Praktika, Schnuppertage oder auch einen Tag der offenen Tür an! Auf diese Art können Sie Geflüchtete auf das Bäckerhandwerk aufmerksam machen und erfahren gleichzeitig, welche potenziellen Kandidaten/innen zu Ihrem Betrieb passen könnten.

Bekunden Sie bei entsprechenden Behörden Ihr Interesse und lassen Sie sich zusätzlich von weiteren Initiativen zum Thema Geflüchtete beraten, die ggf. auch den Kontakt zu Kandidaten/innen herstellen.

Kommunizieren Sie Ihr Angebot nach außen! Werben Sie auf Plakaten und Flyern, auf Ihrer Website und Ihren Social-Media-Kanälen oder auch bei einem Messeauftritt damit, dass Ihr Betrieb für Geflüchtete Ausbildungsplätze anbietet.
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Wie Sie Ihre offenen Stellen eintragen können und welche Angebote und Unterstützung es zu den Themen Nachwuchs und Geflüchtete außerdem gibt, erfahren Sie hier:
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